Praxis für Systemische Therapie und Beratung in Berlin Mitte | Kriegsenkel in der Loyalitätsfalle
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Kriegsenkel in der Loyalitätsfalle

In vielen Familien, in denen die Kriegserlebnisse äußerst schwer waren und zudem unverarbeitet blieben, fühlen sich die Familienmitglieder häufig in einem Gewirr aus Schuldgefühlen, Dankbarkeit und Pflichtgefühl verstrickt. Die empfundene Loyalität gegenüber der Eltern- und Großelterngeneration führt zu einer starken emotionalen Bindung an das Elternhaus und das dort herrschende Wertesystem. In vielen Fällen fühlen sich Kriegsenkel und Kriegskinder für das seelische Wohlergehen ihrer Eltern mitverantwortlich. Ablösungs- und Abgrenzungsversuche können starke Schuldgefühle hervorrufen.

Bereits kleine Kinder haben sehr feine Antennen für das Befinden der Eltern. Sie nehmen den Kummer von Mutter und Vater wahr und entwickeln den Wunsch, ihnen zur Seite zu stehen und sie aufzuheitern. Werden die Kinder traumatisierter oder emotional schwer belasteter Eltern erwachsen, geraten sie häufig in einen Loyalitätskonflikt. Was sie auch tun, sich abnabeln oder den Eltern treu bleiben, es wird immer eine Seite – entweder die eigene oder die der Eltern – geben, die in ihren Augen zu kurz kommt.

Dieser als unlösbar empfundene Konflikt kann Gefühle von Verwirrung und innerer Zerrissenheit auf Seiten der Kinder hervorrufen und unter bestimmten Umständen dazu führen, dass sie den Bezug zu ihren eigenen Bedürfnissen, Zielen und Wünschen verlieren. Einige dieser Kinder stellen ihre eigene Weiterentwicklung zugunsten der Familie zurück. Der starke Wunsch, für die Familie da zu sein, für ihr Wohlergehen zu sorgen und ihren Kummer mit Hingabe und Fürsorge auszugleichen kann im Erwachsenenalter eine Ziel- und Orientierungslosigkeit bezüglich des eigenen Lebens zur Folge haben. Andere Kinder, die diesen Konflikt erleben, entscheiden sich für ein streng autonom geführtes Leben. Sie grenzen sich bewusst ab und versuchen somit, den negativen Gefühlen aus dem Weg zu gehen.

Aufgrund der kriegsbedingten Entbehrungen der Eltern und Großeltern und der Tatsache, dass es den meisten ihrer Kinder und Enkel in den Jahren des Wirtschaftswunders wesentlich besser ging, fühlen sich Letztere meist zu großer Dankbarkeit verpflichtet. Sie sind in dem Glauben aufgewachsen, dass es für sie keinen Grund zum Klagen geben kann. Ihre Kindheit war finanziell bestens abgesichert. Faktisch fehlte es ihnen an nichts. Aufgrund der meist schweren emotionalen Belastungen und dem Vorsatz, dass es von nun an allen besser gehen solle, hatten viele Eltern und Großeltern andererseits das Fingerspitzengefühl für die Probleme ihrer Kinder verloren. Diese Kinder fühlen sich als Erwachsene häufig minderwertig und neigen zunächst dazu, ihre eigenen Bedürfnisse hinter die anderer zu stellen. Um endlich gesehen zu werden, strengen sie sich besonders an oder sie machen sich unsichtbar, um nicht zur Last zu fallen. Viele haben Schwierigkeiten, sich abzugrenzen und trauen sich nicht, ihre Bedürfnisse zu zeigen und Wünsche zu äußern. Nicht selten leiden sie unter Perfektionismus, einer rastlose Arbeitsmentalität und Selbstwertproblemen.

Wie bereits geschildert fühlen sich viele Kriegskinder und Kriegsenkel dem Elternhaus eng verbunden. Die automatische Identifikation mit dem Leid der Eltern und die sich daraus entwickelnden Rettungswünsche treffen zudem häufig auf überhöhte Bindungs- und Loyalitätsanforderungen auf der Seiten der Eltern und Großeltern. Nicht selten spielen hier Familiengeheimnisse und Tabus wie z.B. Gewalterfahrungen, Suizid, Missbrauch, Opfer- oder Täterschaft eine Rolle. Schuld- und Schamgefühle, Schmerz und Trauer sollen im Verborgenen bleiben. Die Familie schottet sich nach Außen hin ab. Sie ist verletzlicher als andere und verhält sich dementsprechend misstrauischer. Um die Familienmitglieder zu schützen oder vor Schande zu bewahren, werden starre Grenzen aufgebaut. Die Familienmitglieder fühlen sich isoliert. Der Wunsch, eine vertraute, liebevolle Verbindung aufzubauen bleibt in vielen Fällen unerfüllt. Bedingt durch Geheimhaltung und Tabuisierung haben die Familienmitglieder häufig einen höheren Anspruch an den Familienzusammenhalt. Abnabelungsversuche werden eher als Gefährdung der Familie wahrgenommen und weniger als Versuch, sich selbst zu entfalten. Die Kinder fühlen sich meist bis ins Erwachsenenalter mit der Familie verstrickt. Auch wenn sie nicht in das Geheimnis eingeweiht wurden, spüren sie die Unstimmigkeiten. Sie ahnen, dass etwas Bedrückendes geschehen ist und und leiden unter einer unsichtbaren geheimnisvollen Last. Viele dieser Kinder bemühen sich um Harmonie, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Gerne würden sie ihre Eltern oder Großeltern von ihrem Kummer befreien. Der Wunsch, alles wieder heil zu machen, spielt in ihrem Leben häufig eine größere Rolle. Andere gehen in Konflikt mit ihrer Familie, versuchen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen oder kämpfen um mehr Selbstbestimmung.